Unfall Oberlandesgericht Köln, 16 U 70/03

Neue Urteile und Rechte

Unfall Oberlandesgericht Köln, 16 U 70/03

Beitragvon Klaus am Fr 24. Okt 2008, 09:58

Oberlandesgericht Köln, 16 U 70/03
Datum: 08.03.2004
Gericht: Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper: 16. Zivilsenat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 16 U 70/03
Vorinstanz: Landgericht Köln, 25 O 646/01
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 02.07.2003 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 646/01 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 16.01.2002 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 68 %, die Beklagte zu 32 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 71 % und der Beklagten zu 29 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

G r ü n d e
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I.
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Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Unfall geltend, den sie als damals 8-jähriges Kind während einer bei der Beklagten gebuchten Reise erlitten hatte, und zwar lief sie, als sie nach draußen zu ihren Eltern wollte, gegen die Glasschiebetür des von ihrer Familie bewohnten Appartements, die dabei zersplitterte. Durch das zersplitterte Glas erlitt sie erhebliche Verletzungen an beiden Unterschenkeln und Füßen. Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
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Mit der Berufung ergänzt die Klägerin ihren Vortrag und behauptet, dass auch bereits vor ihrem Aufenthalt in dem gebuchten Hotel Unfälle, verursacht durch den Bruch von Glastüren, vorgekommen seien, was der vor Ort tätigen Reiseleiterin der Beklagten auch bekannt gewesen sei. Hinsichtlich der erlittenen Verletzungen und ihrer Folgen verweist die Klägerin, wie in erster Instanz, auf die vorgelegten ärztlichen Berichte und Bescheinigungen (Anlagenheft Bl. 5 ff, 8 ff, 20 ff, 23 f, 25, 33, 34, 36). Sie trägt vor, dass sich die attestierten Bewegungseinschränkungen, auch das linksseitige Hinken, verbessert hätten. Sie sei in ihrer Mobilität, insbesondere ihren sportlichen Aktivitäten, jedoch nach wie vor stark eingeschränkt. Es verblieben auf unabsehbare Zeit erhebliche Beschwerden, insbesondere nach Belastungen des linken Beines. Eine Korrektur der Narben könne nach ärztlicher Auskunft erst erfolgen, wenn sie, die Klägerin, ausgewachsen sei. Wegen der Einzelheiten der vorgetragenen Unfallfolgen wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung verwiesen.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 76.693,78 EUR nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 03.08.1999 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,

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3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 03.08.1999 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Gegenüber dem Feststellungsbegehren der Klägerin erhebt sie die Einrede der Verjährung. Die von der Klägerin vorgetragenen Verletzungen und Folgeschäden werden nicht bestritten.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
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Die Klägerin kann von der Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 EUR verlangen (§§ 823, 847 a.F. BGB). Ihr Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht von Zukunftsschäden ist dagegen verjährt.
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Das Landgericht, auf dessen Ausführungen insoweit verwiesen wird, hat die eigene Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zutreffend dargestellt. Entgegen seinen Ausführungen ist der Senat allerdings der Auffassung, dass die Beklagte diese ihr obliegende Pflicht im vorliegenden Fall verletzt hat. Die Glasschiebetür, wie sie in der angefochtenen Entscheidung beschrieben wird, war nicht hinreichend verkehrssicher. Sie war trotz des umfassenden dunklen Edelstahlrahmens so zu kennzeichnen, dass sie - auch für Kinder - leicht zu erkennen war. Dies gilt im Hinblick darauf, dass die Ausstattung der Zimmer und Appartements des Hotels im Prospekt als kindgerecht angepriesen wurde, es sich bei der Glasschiebetür um den einzigen Zugang zu dem Appartement handelt und sich vor der Türanlage die Terrasse der Ferienwohnung befindet. Es handelt sich mithin um eine Tür, die häufig benutzt wird. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Kinder sich oft eilig und nicht mit genügender Vorsicht bewegen. Bei einer im Reiseprospekt zugesicherten kindgerechten Ausstattung ist deshalb eine Gefährdung auszuschließen, die sich aus dem typischen Ungestüm und der Unvorsichtigkeit von Kindern ergeben kann. Auch wenn die Türanlage mit einem umfassenden dunklen Stahlrahmen versehen ist und bei geöffneter Tür dieser Rahmen zur Decke und zum Boden hin wegfällt und sich dadurch eine größere Lichtung eröffnet, so ist dennoch zum Ausschluss der Gefährdung gerade von Kindern eine zusätzliche Markierung erforderlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach Öffnen einer Schiebetüre zwangsläufig im Fußboden sichtbar eine Vorrichtung verbleibt, die der Führung der Schiebetüre dient. Des weiteren sind auch die Lichtverhältnisse bedeutsam, die erfahrungsgemäß dazu führen, dass es im Wohnraum oft erheblich dunkler ist als draußen, so dass die Vorrichtungen der Türanlage nicht jederzeit ohne weiteres leicht zu erkennen sind. Wesentlich ist dabei, dass Kinder - auch im Alter der Klägerin - regelmäßig noch nicht in der Lage sind, Gefahrensituationen richtig einzuschätzen und die gebotene Sorgfalt auch dann zu beachten, wenn ihre Aufmerksamkeit durch einen von der Gefahr ablenkenden Vorgang beansprucht wird. Die Beklagte, die eine kindgerechte Ausstattung des Hotels zugesichert hatte, hätte deshalb dafür Sorge tragen müssen, dass die Glastür so gekennzeichnet wurde, dass sie auch im Falle typisch unbesonnenen Verhaltens von Kindern rechtzeitig wahrgenommen werden konnte. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick darauf, dass sie sich nicht vergewissert hatte, ob beim Bau der Glastüranlage splitterfreies Glas verwendet wurde. Dies stellt nach Auffassung des Senates eine weitere Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar. Zwar kann nach dem Klagevortrag nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte Kenntnis von der Art des eingebauten Glases hatte. Denn die Klägerin ist mit ihrem neuen Vortrag in der Berufungsbegründung, dass es auch bereits vor ihrem Unfall in dem gebuchten Hotel ähnliche, der örtlichen Reiseleitung bekannte Unfälle gegeben habe, gemäß § 531 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO ausgeschlossen. Nach Auffassung des Senates war die Beklagte jedoch verpflichtet, Erkundigungen über die genaue Art des verwendeten Glases in den Türen einzuholen, da dessen Einschätzung als Einfachglas oder splitterfreies Glas sich erfahrungsgemäß einer optischen Prüfung entzieht. Dabei verkennt der Senat nicht, dass von dem Reiseveranstalter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Regelfall nicht die Suche nach verborgenen Mängeln sondern lediglich die Feststellung von offenbaren Sicherheitsrisiken erwartet wird (vgl. BGHZ 103 ff, 307). Vorliegend ergeben sich jedoch Besonderheiten, die an die Überprüfung des Sicherheitsstandards höhere Anforderungen stellen. Dies gilt im Hinblick darauf, dass die Beklagte im Reiseprospekt ausdrücklich die Ausstattung des Hotels als kindgerecht zugesichert hat und es sich bei der fraglichen Glasschiebetür um den einzigen Zugang zum Appartement und zur Terrasse handelt, mithin um eine Tür, die häufig von den Bewohnern des Appartements benutzt wird. Es steht außer Zweifel, dass die Verkehrssicherungspflicht einen Hotelinhaber im Inland verpflichtet, solche Türen mit splitterfreiem Glas zu versehen (vgl. BGH VersR 1994, 996: Mehrfamilienhaus; 1967, 714: Schulgebäude; OLG Koblenz VersR 1997, 1544: Mehrfamilienhaus; OLG Düsseldorf OLGR 1995, 146: privates Schwimmbad; Münchener Kommentar-Mertens, 3. Aufl., § 823 BGB Rdz. 237). Weil der Reiseveranstalter sich im Ausland auf einen solchen Sicherheitsstandard erfahrungsgemäß nicht verlassen kann, musste die Beklagte sich davon überzeugen, dass von der Glasschiebetüre keine unnötige Gefahr für die Hotelgäste, insbesondere für Kinder, ausging. Sie hätte sich deshalb vergewissern müssen, welches Glas für den Bau der Glasschiebetüranlage verwendet wurde.
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Ein Mitverschulden der Klägerin ist zu verneinen. Das Verhalten der Klägerin, das zu dem Unfall geführt hat, ist für ein 9jähriges Kind unter den gegebenen Umständen nicht vorwerfbar, da Kinder in diesem Alter regelmäßig nicht in der Lage sind, Gefahrensituationen richtig einzuschätzen und die gebotene Sorgfalt auch dann zu beachten, wenn ihre Aufmerksamkeit durch andere Vorgänge beansprucht wird. Auch ein der Klägerin gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB zuzurechnendes Verschulden ihrer Eltern liegt nicht vor. Diese konnten in einer als kindgerecht gepriesenen Hotelanlage von der Verwendung splitterfreien Glases ausgehen und mussten deshalb bei unvorsichtigem Verhalten ihrer Kinder nicht mit einer unnötigen Gefährdung durch zersplitterndes Glas rechnen.
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Für die Bemessung des Schmerzensgeldes waren folgende Umstände maßgeblich:
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Die Klägerin hat infolge des Unfalls schwere Schnittverletzungen im Bereich beider Sprunggelenke und Unterschenkel erlitten. Es wurden hierbei Sehnen und Nerven des linken Fußes durchtrennt. Die primäre Versorgung in einem Krankenhaus auf Menorca war unzureichend, so dass nach der Rückkehr der Klägerin eine erneute operative Wundversorgung mit Sehnennähten und Nervennähten sowie plastischer Rekonstruktion zerschnittener Gewebsanteile notwendig wurde. Die anschließende Wundverheilung war verzögert und gestört, weil über Monate immer wieder Fadenanteile der Wundversorgung vom Krankenhaus auf Menorca die verheilenden Wunden durchbrach. Die Entfernung der Fadenreste war schwierig, erfolgte ambulant und war zum Teil mit erheblichen Schmerzen verbunden. Sie ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Klägerin musste ca. ein halbes Jahr nach dem Unfall einen Rollstuhl benutzen und befürchtete zunächst, nie wieder laufen zu können. Es wurde ab dem 28.10.1999 eine intensive Krankengymnastik durchgeführt, die bis heute nicht abgeschlossen ist, des weiteren eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Es bestand eine erhebliche Einschränkung der Beweglichkeit im linken oberen und unteren Sprunggelenk. Beim Gehen zeigte sich ein deutliches Hinken des linken Beines. Die Klägerin musste links einen Kompressionsstrumpf tragen. Diese Bewegungseinschränkungen haben sich mittlerweile verbessert. Dennoch ist die Klägerin in ihrer Mobilität nach wie vor stark eingeschränkt. Sie ist vom Schulsportunterricht befreit und kann derzeit ihren sportlichen Aktivitäten - sie spielte Tennis und war in einem Fußballverein - noch immer nicht nachgehen. Auch wenn eine Besserung eingetreten ist, verbleiben nach wie vor, insbesondere nach Belastungen des linken Beines, erhebliche Beschwerden. Eine Korrektur der Narben, insbesondere die der immer noch deutlich sichtbaren Narbe im Bereich des linken Sprunggelenks und Unterschenkels, kann erst erfolgen, wenn die Klägerin ausgewachsen ist. Der linke Fuß der Klägerin muss jeden Abend massiert werden, um das Narbengewebe geschmeidig zu halten. Es besteht weiterhin ein Taubheitsgefühl auf dem Rücken des linken Fußes. Die Beweglichkeit der Zehen dieses Fußes hat sich verbessert, ist aber immer noch eingeschränkt. Die psychischen Folgen des Unfalls, wie sie im ärztlichen Gutachten des Dr. S. vom 29.05.2000 beschrieben werden, bestehen noch insoweit, als die Klägerin weiterhin unter den deutlich sichtbaren Narben am linken Fuß leidet und Furcht vor großen Glasflächen hat.
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Unter Würdigung der Gesamtumstände insbesondere des jungen Alters der Klägerin, der Schmerzzustände, der Behandlungsbelastungen, der Beeinträchtigungen bei den körperlichen Aktivitäten und im kosmetischen Bereich mit ihren psychischen Auswirkungen hält der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 EUR als Ausgleich für die erlittenen Schäden und Unfallfolgen der Klägerin für angemessen.
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Der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der aufgrund des Unfalls vom 03.08.1999 entstandenen Zukunftsschäden ist verjährt (§ 852 Abs. 1 BGB a.F.). Für die für den Beginn des Laufs der Verjährung maßgebliche Kenntnis im Sinne des § 852 Abs. 1 BGB ist davon auszugehen, dass der gesamte aus einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden, was die Erlangung der Kenntnis betrifft, als eine Einheit aufzufassen ist (vgl. BGH MDR 1988, 396). Als der Feststellungsantrag am 13.10.2003 rechtshängig wurde, war daher für das Feststellungsbegehren die maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist abgelaufen. Die in nicht verjährter Zeit erhobene Leistungsklage begründet bezüglich des Feststellungsanspruches keine Unterbrechungswirkung gemäß § 209 BGB (vgl. BGH MDR 1998, 272; OLG Oldenburg OLGR 2000, 21). Für die Frage der Verjährungsunterbrechung ist der Streitgegenstand maßgeblich. Die von dem Feststellungsantrag erfassten Ansprüche betreffen die Ersatzpflicht von Zukunftsschäden, die von der Reichweite der Leistungsklage nicht abgedeckt waren.
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Der Zinsanspruch rechtfertigt sich in der zuerkannten Höhe aus den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB a.F.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.
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Es handelt sich vorliegend nicht um eine Sache, die die Zulassung der Revision rechtfertigt. Es geht allein um die Frage, ob aufgrund der besonderen tatsächlichen Umstände des vorliegenden Einzelfalles eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten festgestellt werden kann. Die Rechtssache hat daher keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Wegen der aufgezeigten Besonderheiten ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit demjenigen vergleichbar, der der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf NJW-RR 1997, 1483 zugrunde liegt.
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Berufungsstreitwert: 86.693,78 EUR (Schmerzensgeld: 76.693,78 EUR; Feststellung: 10.000,00 EUR).
Klaus
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